Gedanken zur Philosophie der Ferienakademie

Seit 1984 gibt es sie nun, die Ferienakademie. In Anlehnung an die etablierten und bewährten Sommerakademien der Studienstiftung wollte zunächst die TU München etwas Ähnliches für ihre besten Studierenden anbieten. Schnell gesellte sich die FAU Erlangen-Nürnberg dazu, und im Jahr 2002 komplettierte die Universität Stuttgart das heutige Veranstalter-Trio. Als kleine Anekdote sei angemerkt, dass der Stuttgarter Beitritt sozusagen das Erfüllen eines Berufungswunsches eines 2001 nach Stuttgart gewechselten Ferienakademikers war – solche Wünsche kann man in Berufungsverhandlungen durchaus auch äußern.

Die deutsche Wissenschaftslandschaft hat sich seit 1984 massivst geändert – man denke nur an die Verherrlichung des Wettbewerbs an allen Ecken und Enden, an Exzellenz-Initiativen, Internationalisierung oder Bologna-Prozess. Die Ferienakademie dagegen blieb ein erstaunlich beständiger Fels in der Brandung, an den ursprünglichen Zielen festhaltend und konservativ in der Umsetzung (gemächliches Vordringen des schnellen Internets ins Sarntal inklusive) – wobei man den Begriff „konservativ“ ja durchaus so und so sehen kann. Interessanterweise haben die Sommerakademien der Studienstiftung und die Ferienakademie sich ihre Nische bewahren können – obwohl es bei Sommer-, Winter- und anderen Schulen ja eine regelrechte Inflation gegeben hat. Fast alle jedoch laden sie Gurus ein und lassen die Studierenden oder (meistens) Promovierenden ihnen zuhören; die wenigsten lassen sich auf das Abenteuer „lasst die das Programm gestalten, nicht uns“ vorbehaltlos ein.

Die zwei ehernen Prinzipien der Ferienakademie – (1) „Das machen wir so, weil wir es schon immer so gemacht haben“ sowie (2) „Das kommt nicht infrage, weil wir das noch nie so gemacht haben“ – finden ihren Niederschlag in verschiedenen Regeln, die bis heute bewahrt wurden, aber gerade vor dem Hintergrund der genannten Veränderungen des Alltags an Universitäten immer wieder frontal hinterfragt werden:

  • Kursleiter sind Professoren und Professorinnen – keine senioren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Oberassistentinnen und Oberassistenten.

  • Es gilt Anwesenheitspflicht über den gesamten Zeitraum – für die Studierenden sowieso, aber eben auch für die Kursleitungen.

  • Das Wort Ferienakademie setzt sich zusammen aus „Ferien“ und „Akademie“, und in diesem Sinne bedeutet Mitmachen die aktive Beteiligung am Kursprogramm und an den Freizeitaktivitäten, insb. natürlich am Wandern. Also weder Strebercamp noch Urlaub, sondern irgendwie beides.

  • Die Ferienakademie ist getragen vom Geist der Freiwilligkeit und der wissenschaftlichen Neugier – es gibt keine konkrete Erwartungshaltung, keine Bewertungsmechanismen, aber eben auch keine Credits. Ein Ferienakademiekurs mag von außen wie ein universitäres Seminar oder ein Praktikum anmuten, er ist aber eben keines, sondern viel mehr.

Insbesondere die ersten beiden Punkte stoßen bei der Suche nach neuen Kursen samt Kursleiterinnen bzw. Kursleitern des Öfteren auf Unverständnis, ja Ablehnung. Dem „Ja, das mache ich gerne. Ich komme dann drei Tage, mein Dr. Müller übernimmt den Rest“ folgt dann schnell ein „Herr Kollege, wie stellen Sie sich das vor – ich 12 Tage auf so einer Sommerschule? Das ist völlig ausgeschlossen, das hat in meinem Terminplan keinen Platz“. Unweigerlich fragt man sich dann selbst sofort, ob man wirklich so ein unterbeschäftigter und wenig gefragter Di-Mi-Do-Prof ist, dass man es sich regelmäßig leisten kann, zwölf Tage in den Bergen abzuhängen? Deshalb an dieser Stelle eine Erläuterung: Warum wurde und wird das so gelebt und relativ hartnäckig – manche mögen sagen stur – bewahrt? Denn auch den Verantwortlichen der Ferienakademie ist natürlich klar, dass das „Freischaufeln“ angesichts des akademischen Zehnkampfs, in dem wir alle tagaus tagein stehen, ein Kraftakt ist – aber eben ein lohnender.

Erstens: Wo gibt es für den Hochschullehrer, die Hochschullehrerin (und ja, genau das sind wir doch alle primär) heute noch den direkten, intensiven, von der hektischen Abfolge des Terminkalenders ungestörten Kontakt zu den Studierenden? Wohl gemerkt zu den besten unter ihnen – nicht denen, die einen ständig mit Ausreden und Ausnahmewünschen heimsuchen. Und umgekehrt: Wo kommen diese wirklich interessierten Studierenden denn heute noch so unmittelbar an die „akademischen Dreadnoughts“ ran, die normalerweise von einer Sitzung zum nächsten Meeting eilen. Und man muss nicht unbedingt in den Biographien und Erinnerungen aus den „goldenen Jahren der Physik in Deutschland“ schmökern, um zu sehen, welche Früchte dieser Austausch tragen kann. (Dass hier meistens auch in den Alpen gewandert wurde, spielt uns jetzt etwas in die Karten, ja.)

Zweitens: Wo gibt es heute noch den langen Atem, Ideen auszudiskutieren, an einem vielleicht zunächst als abstrus erscheinenden Gedanken dranzubleiben, in der Gemeinschaft eines Kurses wirklich sich etwas zu erarbeiten, zu durchdringen und zu bewegen? Ganz klar sind über alle Fächer hinweg diejenigen Ferienakademie-Kurse die erfolgreichsten und fruchtbarsten, bei denen sich alle Beteiligten voll und ganz auf das Abenteuer einlassen und so eine kreative Gruppendynamik ermöglichen, die zündet.

Drittens dürfen ja durchaus auch die Profs die Köpfe zusammenstecken – die Liste der im Sarntal geborenen Ideen zu Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereichen, Forschungsverbünden oder auch Einzelprojekten ist in der Tat beachtlich. Im Grunde könnte man natürlich all die erforderlichen Gespräche auch an den Heimatunis führen – in der Praxis geht das aber zu oft im Alltagstrott unter.

Viertens ist das Standort und Disziplinen übergreifende Moment eine Bereicherung – für Dozentinnen und Dozenten wie für Studierende.

Ergo: Klar könnte man die Ferienakademie anders aufziehen; klar könnte Kollege A aus Stuttgart von MO bis DO, Kollege B aus Erlangen von FR bis MO und schließlich Kollege C aus München von DI bis FR im Sarntal aufschlagen, im Sinne eines Staffellaufs. Oder der Prof ruft kurz „Hallo“, und das Weitere erledigen Mitarbeiter. Das ginge irgendwie schon auch, aber es würde den Charakter der Ferienakademie stark verändern und aus einem sich für die Studierenden wie die Überzeugungstäter unter den Professorinnen und Professoren der veranstaltenden Unis höchst attraktiven Unikat ein schlichtes „yet another …“-Format machen. Und diesen mehr als schrägen Wettbewerb „je kürzer ich aufscheine, desto wichtiger bin ich“ brauchen wir im Sarntal nun wirklich nicht.

Klar gibt es im Hinblick auf die Anwesenheitspflicht Ausnahmen – kurz alles, das eindeutig nicht unter die Vergnügungssteuerpflicht fällt. Dem eigenen Ruhme Dienendes wie etwa ein eingeladener Vortrag auf einer Konferenz taugt dagegen nicht als Ausnahmegrund.

Insofern reiht sich die Ferienakademie keinesfalls in Reihe der Verpflichtungen ein, die sich verbündet haben, um unsere Zeit zu stehlen. Wer die Ferienakademie richtig versteht, nimmt sie als eine der sehr rar gewordenen Chancen wahr, sich einen Freiraum für das Wesentliche zu schaffen oder zu bewahren. Dass die Ferienakademie eines der besten, wenn nicht das beste Instrument ist, die nächste Generation des wissenschaftlichen Nachwuchses „auszugucken“ und zu gewinnen, ist ein weiteres gewichtiges Argument dafür, die Dinge so zu belassen, wie sie sind und sich über nunmehr mehr als drei Jahrzehnte bewährt haben.

Bei weitern Fragen wenden Sie sich bitte an unser Team.